In unruhigen Zeiten wächst das Bedürfnis nach innerer Stabilität: Das geht oft besser zu zweit. Wie Corona die Liebe beschleunigt.

Weniger Ablenkung, mehr Zeit: Paare, die in der Pandemie zusammengekommen sind, lernten sich schneller und intensiver kennen. Zudem ist vielen Singles die Lust aufs Alleinsein gründlich vergangen: So auch Milena Haller (52) aus Luzern, sie lebte 16 Jahre allein. Erst mit Corona wurde ihr eine Einsamkeit bewusst, wie sie sie vorher nicht gekannt hatte. Jetzt hat sie ihren Traummann innert Monaten kennengelernt – das Paar ist bereits zusammengezogen.

Und auch wer sein Single-Leben mit allen Freiheiten in vollen Zügen genossen hat, so wie der Yogalehrer Egon Castlunger (52), entdeckte in der Isolation die Qualitäten der Zweisamkeit: Seit letztem Juni ist er mit der Frau zusammen, mit der sich das Leben doppelt so gut anfühlt. Ihm gibt die Beziehung mehr Tiefe und neue Perspektiven. Die Pandemie hat für viele Singles die Partnersuche beschleunigt.

Die Krise im Aussen verändert das Innere

Denn durch die Krise im Aussen verändert sich auch unser Inneres: «Die Sehnsucht nach Stabilität und Sicherheit wächst. Viele suchen das in einer verbindlichen Beziehung», sagt Margareta Hofmann von Paarberatung & Mediation im Kanton Zürich. «Jetzt ist nicht die Zeit für Oberflächliches, kurze Flirts und unverbindlichen Sex. Man will Tiefe, und der Wunsch, endlich seinen Seelenverwandten zu finden, ist gewachsen.»

Dass es beim Onlinedating Zulauf gegeben hat, erstaunt sie nicht, das sei schon vor der Pandemie die beliebteste Art gewesen, jemanden kennenzulernen. Oder die Kartei mit alten Freunden durchgehen: «Da weiss man schon, mit wem man es zu tun hat.» Denn, was sich geändert hat, sind die Ansprüche an einen Partner.

Zuverlässigkeit ist wichtiger als Status

Optimismus, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit sind Faktoren, die laut einer Studie von Parship an Wichtigkeit gewinnen – jeder zweite der Befragten wünscht sich eine gemeinsame Kommunikationsbasis. Gefragt sind auch das Gesundheitsbewusstsein, Intelligenz und Hilfsbereitschaft. Nicht so wichtig sind den Singles Statussymbole wie ein Auto, Haus oder eine Uhr – nur rund neun Prozent wünschen sich das.

Neu sind diese Wünsche nach einem zuverlässigen Partner laut der Paartherapeutin nicht. «Aber diese Sehnsucht hat ein tieferes Fundament bekommen.» Hofmann teilt das Stimmungsbarometer der Pandemie in zwei Phasen auf: «Anfangs haben die meisten das Alleinsein im Lockdown genossen, das gilt auch für die Singles!» Da war endlich Raum für sich allein, sei es zum Aufräumen, Brotbacken oder Sportmachen. «Es ist ein Zeitfenster entstanden, man konnte einfach mal durchatmen und innehalten», resümiert Hofmann.

Die grossen Fragen des Lebens

Aber in einer zweiten Phase wurde daraus oft Monotonie und Resignation. «Man wird auf sich zurückgeworfen», sagt die Therapeutin. Da tauchen plötzlich die grossen Fragen des Lebens auf: «Was macht mich wirklich glücklich? Wie sieht mein Lebensentwurf aus?» Wer sich vertieft mit sich selber auseinandersetzt, wisse auch besser, was er in einer Partnerschaft sucht, und kann das auch klarer kommunizieren.

Was ihr in den Beratungen besonders auffällt: «Die Frage nach dem Kinderwunsch taucht viel öfter auf. Vorher haben das viele vor sich hergeschoben. Aber jetzt gehts ums Elementare, also das Verbindliche.» Auf die Paare, die sich in der Pandemie frisch verliebt haben, kommt mit den Öffnungen eine neue Phase zu: «In der Abgeschiedenheit konnte sich das Wir-Gefühl installieren, man nennt das die Verschmelzungsphase.» Dort könne man aber nicht bleiben, sonst ersticke man, jeder brauche auch den Raum für sich: «Jetzt beginnt der Tanz mit Nähe und Distanz.»

Dieser Artikel wurde von Katja Richard verfasst und im «Blick» am 28.07.2021 veröffentlicht.