Wir sind seit 15 Jahren verheiratet. In den letzten Monaten veränderte sich mein Mann. Er machte viel mehr Sport und legte plötzlich Wert auf gesunde Ernährung. Durch einen Zufall fand ich heraus, dass er seit längerem einen intensiven und intimen Chat mit einer Kollegin führte. Als ich meinen Mann zur Rede stellte, sagte er, dass es nichts bedeute, da es zwischen ihm und seiner Kollegin nicht zu Sex gekommen sei. Für mich fühlt es sich trotzdem so an wie wenn mein Mann fremdgegangen wäre. Mein Mann hat den Kontakt mit der Kollegin abgebrochen, aber ich bin immer noch sehr enttäuscht. Wie kann ich wieder Vertrauen aufbauen?
Viele Menschen verbinden den Ausdruck Fremdgehen automatisch mit Sex ausserhalb der Ehe oder Partnerschaft. Die Definition von Untreue ist jedoch nicht so eindeutig. In unserer Gesellschaft kann jedes Paar die Regeln selber aufstellen. Untreue ist ein weites Feld und beinhaltet nebst sexuellen Aktivitäten auch Heimlichkeit, erotische Spannung und emotionale Beteiligung. Auslöser für eine Affäre ist häufig die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Lebendigkeit. Ein intimer Chat ist eine Form von Fremdgehen. Entscheidend ist Ihr Gefühl des Vertrauensbruchs. Sie sind enttäuscht, wütend und traurig. Das ist normal und nachvollziehbar. Fremdgehen ist im ersten Moment wie ein Meteoriteneinschlag, nichts ist mehr so wie es vorher war. Wenn Sie und Ihr Mann entscheiden, den Lebensweg gemeinsam weiterzugehen, kann sein Ausbrechen eine Chance bedeuten. Vermutlich ist etwas erstarrt in Ihrer Beziehung, vielleicht haben Sie die emotionale Nähe verloren über die Jahre, Sie haben sich nicht mehr wahrgenommen gegenseitig.
Nun ist das Gespräch zwischen Ihnen und Ihrem Mann wichtig. Das braucht Zeit, Geduld und eine Auseinandersetzung. Wieviel an Offenheit und Transparenz benötigen Sie, um wieder Boden unter den Füssen zu bekommen? Wie kann Ihr Mann Sie unterstützen, das Misstrauen abzubauen? Was müssen Sie für sich tun, dass Sie wieder Sicherheit bekommen? Ihr Mann kann Ihnen Sicherheit vermitteln, indem er proaktiv informiert, was er mit dem Handy macht, wenn er es zur Hand nimmt. Falls Sie unsicher sind, fragen Sie ihn, damit sich keine Szenarien aufbauen in Ihren Gedanken. Vielleicht ist es auch angezeigt, dass Sie und Ihr Mann in einer Paarberatung mit professioneller Unterstützung sortieren, was Sie zurücklassen und wie Sie Ihre Paarbeziehung in Zukunft gestalten wollen.
Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon
Dieser Artikel wurde im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg unter der Rubrik «DER GUTE RAT» am 16.03.2022 veröffentlicht.
