Meine Frau und ich sind anfangs dreissig und vor 6 Monaten zum ersten Mal Eltern geworden. Wir haben uns beide riesig auf unsere Tochter gefreut und wir wussten, dass wir unser Leben nicht mehr gleich weiterführen können wie bisher. Wir waren beide 100% berufstätig, machten viel Sport und haben einen grossen Bekannten-kreis. Sehr bald nach der Geburt zeigte sich meine Frau gestresst und genervt mit unserer Tochter. Immer noch fühlt sie sich total erschöpft, kann schlecht schlafen und will auch am Wochenende kaum etwas unternehmen. Mir gegenüber ist sie abweisend oder weint viel. Ich kenne sie kaum wieder und mache mir in der Zwischenzeit grosse Sorgen. Das ist doch nicht mehr normal, oder?

Eltern zu werden ist meistens ein freudiges Ereignis und wird gefeiert. Aber auch bei bester Vorbereitung weiss man eigentlich nie, auf welches Abenteuer man sich einlässt. Und manchmal kommt es dann plötzlich ganz anders. Anstatt des Baby-Glückes löst die Geburt eine Krise aus, was in einer postpartalen Depression enden kann. Rund 15 % der Frauen erleben es als solche und leiden meistens im Stillen, weil sei ja eigentlich glücklich sein müssten; die Symptome entwickeln sich schleichend. Neben den von Ihnen genannten kann es unter anderem auch zu Selbstvernachlässigung, Unsicherheit im Umgang mit dem Baby, Selbstvorwürfe, Schamgefühle, zu versagen, Konzentrationsprobleme, Appetitlosigkeit, usw. kommen.

Sie beschreiben sich als aktives Paar und von einem Tag auf den Anderen mussten Sie beide auf vieles verzichten; auch wird die Tagesstruktur Ihrer Frau nun von Ihrer Tochter bestimmt. Die eigene Identität als Frau und neu als Mutter und die Beziehungen im Umfeld müssen neu definiert werden. Die schlaflosen Nächte, der Wäscheberg, das Kochen, sich um das Kind kümmern, können zu andauernden Überforderungsgefühlen und Schamgefühlen führen, weil man es nicht mehr schafft, alles unter einen Hut zu bringen. Ich denke Ihre Sorgen sind sehr berechtigt und ich empfehle Ihnen, Ihre Frau darauf anzusprechen und zusammen mit ihr professionelle Hilfe zu holen. Vielleicht gibt es auch eine gute Freundin Ihrer Frau, die die Veränderung auch beobachtet hat, die Sie mit ins Boot holen können. Zusammen können Sie schauen, wie Ihre Frau entlastet werden kann, damit sie wieder zu Kräften und zu mehr Selbstbestimmung kommt.

Daniela Wurz, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Bülach

Dieser Artikel wurde am 15.04.21 im Stadtanzeiger Opfikon-Glattbrugg veröffentlich.