Wenn es in Paarbeziehungen zu Konflikten kommt (was die Regel ist), denkt man schnell an Schwierigkeiten in der Kommunikation, unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse, Vorstellungen im Haushalt oder der Kindererziehung. Sicherlich haben diese Themen einen grossen Einfluss auf die Beziehungsdynamik. Dabei geht manchmal vergessen, dass wir alle auch eine Beziehung zu uns selbst haben. Und diese Beziehung zu uns selbst beeinflusst unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Die Ärztin Tatjana Reichhart schreibt: «Selbstfürsorge ist nicht die Kür, sondern die Pflicht, wenn es um unsere Gesundheit und unser Wohl befinden geht» (Reichhart, 2019). Viel leicht könnte man ergänzen, dass Selbstfürsorge auch eine Pflicht ist, wenn es um unsere Paarbeziehungen geht. Warum das so ist, soll hier etwas genauer beleuchtet werden.

Manche mögen dem Begriff Selbstfürsorge kritisch gegenüberstehen, weil sie ihn mit dem stetigen Kreisen um die eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten assoziieren. Hier ist aber Selbstfürsorge im Sinne von Selbstverantwortung gemeint. Es geht also nicht um Egoismus, sondern darum, sich verantwortungsvoll um sich selbst zu kümmern. Damit verbunden ist das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und das (Aner-)kennen der eigenen Grenzen. Weiter heisst es, sich damit auseinanderzusetzen, wie man den eigenen Tank wieder auffüllen und herausfordernde Gefühle regulieren kann. Selbstfürsorge würde auch bedeuten, dass ich nicht nur weiss, wo meine Grenzen sind und was mir hilft, sondern auch so gut wie möglich danach handle. Also meine persönlichen Grenzen auch schütze und bewusst Oasen schaffe, in denen ich meinen Tank wieder auffüllen kann, beispielsweise in der Natur, durch Austausch mit Freunden et cetera. Ganz nach dem Motto: Nicht meine Partnerin oder mein Partner ist für mein Glück verantwortlich (aber sie oder er kann selbstverständlich dazu beitragen). Selbstfürsorge ist auch nicht zu verwechseln mit dem gesellschaftlichen Trend, der uns auffordert, immer noch leistungsfähiger und optimierter zu sein. Natürlich haben auch unsere genetische Veranlagung, unsere Geschichte und äussere Umstände einen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere psychische und physische Gesundheit, der vorgegeben ist und der uns voneinander unter scheidet. Aber es gibt immer einen Teil, den wir beeinflussen können. Hier setzt die Selbstfürsorge an.

Ein entscheidender Aspekt der Selbstfürsorge ist der Umgang mit Stress: Es ist bekannt, dass Stress einen starken Einfluss auf die eigene Gesundheit, aber auch auf Paarbeziehungen hat. So kommunizieren wir beispielsweise unter Stress schlechter und unsere negativen Persönlichkeitsmerkmale kommen stärker zum Vorschein (für eine Übersicht siehe Boden mann, 2016). Intensive Arbeitstage mit hohen Anforderungen, Kinder zuhause, die Aufmerksamkeit und viel Geduld verlangen, ein Haushalt, der gemacht werden will, ganz zu schweigen von all den kleinen Dingen, an die man auch noch denken muss oder welche einem einen Strich durch die Rechnung machen: Dokumente bestellen, Zahlungen überprüfen, Geschenk für den Kindergeburtstag einkaufen, Schadensfall bei der Versicherung melden, kranke Eltern besuchen, Ferien buchen, Termin beim Zahnarzt ausmachen… Diese chronische Belastung kann uns zusetzen. Selbstfürsorge bedeutet einerseits zu schauen, wie sich der Stress minimieren lässt (durch Abgrenzung, Entlastung, Anpassen von Erwartungen etc.) und andererseits einen (besseren) Umgang mit Stress zu finden (Stressregulation). Während gewisse Dinge bei fast allen Menschen Stress aus lösen, unterscheiden wir Menschen uns aber auch darin, was wir als belastend er leben. Während der kritische Kommentar eines Vorgesetzten von einer Person mit Ruhe entgegengenommen werden kann, löst er bei jemand anderem viel Stress aus. Dies hat viel mit unseren Erfahrungen und Prägungen zu tun. Bei diesem Beispiel könnte es die durch Charakter, Erziehung und Erfahrung verinnerlichte Annahme sein, immer alles richtig machen zu müssen. Wenn solche verinnerlichten Annahmen immer wieder zu Belastung führen, kann es sinnvoll sein, sich damit auseinanderzusetzen, allenfalls auch im Rahmen einer Beratung oder Therapie.

Wo kann man also jetzt konkret ansetzen, wenn man Selbstfürsorge ernst nehmen möchte? Am Anfang der Selbstfürsorge stehen die Wahrnehmung und das Erkennen: Welche Bereiche in meinem Leben sind aktuell besonders belastend (Arbeit, Familie, soziale Verpflichtungen et cetera.)? Und woran erkenne ich, dass ich gestresst bin oder dass es mir nicht gut geht (auf Körperebene, in meinem Gedanken, in meinem Verhalten)? Erst danach kommt die Frage, wie ich nun damit umgehen kann: Kann ich die Belastung reduzieren? Was hilft auf der emotionalen Ebene? Für eine Beziehung ist es bereichernd, dies auch mit einander zu besprechen. Einerseits schafft es Verbindlichkeit und Motivation. Andererseits ist es hilfreich zu wissen, woran man seiner Partnerin oder seinem Partner Stress erkennt und was ihr oder ihm hilft. Sich in der Partnerschaft gegenseitig von belastenden Situationen zu erzählen und sich emotional zu unterstützen, kann als sehr hilfreich er lebt werden und stellt eine wichtige Ressource für die Beziehung dar (siehe Bodenmann, 2016). Zu einer gesunden Beziehung gehört jedoch nicht nur die gegenseitige Unterstützung. Ebenso gehört es zu einer Beziehung dazu, dass man sich auch gegenseitig begrenzt und herausfordert (siehe Willi, 1991). Somit beinhaltet Selbstfürsorge auch Aspekte innerhalb der Paarbeziehung. Dies zeigt sich beispielsweise darin, wie ich innerhalb der Paarbeziehung auf meine eigenen Bedürfnisse und Grenzen achte, ohne dabei die Bedürfnisse meiner Partnerin oder meines Partners ausser Acht zu lassen.

Selbstfürsorge heisst also, in die Beziehung zu sich selbst zu investieren. Das bedeutet einerseits für sorglich mit sich umzugehen, aber auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dadurch investieren wir auch in die Beziehung mit der Partnerin oder dem Partner. Selbstfürsorge zu betreiben ist somit ein (Liebes-)dienst an die Paarbeziehung.

Noëmi Ruther, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich,
Beratungsstelle Wetzikon

Dieser Artikel wurde im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg unter der Rubrik «DER GUTE RAT» am 24.04.25 veröffentlicht.

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