Englische Begriffe sind in unserer Sprache allgegenwärtig, so auch in der Psychologie. People-Pleasing – den Menschen gefallen. Das wollen wir alle, den einen ist es wichtiger, den anderen weniger.
Es ist ein tief menschliches Bedürfnis, Wertschätzung und Anerkennung von seinen Mitmenschen zu erhalten, und dafür ist man auch bereit, Energie und Zeit einzusetzen. Das hat eine sehr positive Auswirkung für die Gesellschaft, für das friedliche Zusammenleben. Es braucht die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse je nach Situation in den Hintergrund zu stellen und sich anzupassen. Wenn alle egoistisch unterwegs sind, dann kümmert sich niemand mehr ums Gemeinwohl. Es zeugt von Einfühlungsvermögen, wenn man die Bedürfnisse seiner Mitmenschen erkennt und auch bereit ist, diesen ein Stück weit entgegenzukommen. Lange war die traditionelle weibliche Sozialisation sehr auf das People-Pleasing ausgerichtet. Frauen sollten dem männlichen Teil der Bevölkerung dienen und sich anpassen. Auch heute noch wird der grössere Teil der Care-Arbeit von Frauen verrichtet. Dabei darf nicht ausser acht gelassen werden, dass vor allem in urbanen Zentren ein Wandel im Gang ist. Kinderwagen-schiebende Väter, Pfleger im Altersheim und Frauen in Führungsetagen, am Steuer von Bussen oder naturwissenschaftlichen Berufen sind häufiger als vor der Jahrtausendwende. Männer sprechen offener über ihre Gefühle und Frauen treten selbstbewusst auf. Dies nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Eigenständigkeit vieler Frauen. Im Gegensatz zu früher, wo Frauen zwischen 20 und 30 Jahren meist zu Müttern wurden und die Erwerbsarbeit aufgaben, tragen Frauen heute auch als Mütter weiterhin zum Familieneinkommen bei. Väter reduzieren ihr Pensum zugunsten der Kinderbetreu ung und Erledigung der Hausarbeiten. Rund 40 Prozent aller Ehen werden wie der geschieden, auch dies ist eine Auswirkung der grösseren finanziellen Eigenständigkeit von Frauen.
Alle menschlichen Wesen verbindet, egal wie fortschrittlich eine Gesellschaft ist, der tief menschliche Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung. Als Baby und Kleinkind ist die Fürsorge und Aufmerksamkeit der Eltern oder gleichwertiger Bezugspersonen lebenswichtig. Wenn ein Baby nebst der Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse nicht angeschaut und beachtet wird, verkümmert es, im Extremfall stirbt es. Ein Säugling tut alles, um die Anerkennung der Eltern oder Bezugspersonen zu erhalten, weil davon sein Überleben abhängt. Das Kleinkind lernt mit der Zeit, dass seine Bedürfnisse nicht immer im Vordergrund stehen, das Einfühlungsvermögen entwickelt sich. Es bildet sich eine Balance zwischen Aufmerksamkeit erhalten und Aufbau von Frustrationstoleranz, Aufschieben der Bedürfnisbefriedigung. Das Kind lernt: Ich kann nicht immer alles sofort haben, aber grundsätzlich sind meine Eltern für mich da, sorgen für mich, ich kann mich auf sie verlassen. Wenn die Eltern oder wichtigen Bezugspersonen jedoch zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, lernt das Kind, dass es seine Bedürfnisse zurücknehmen muss, dass die beste Strategie ist, sich anzupassen. Dies ist jetzt ausdrücklich keine Schuldzuweisung an Väter oder Mütter, Eltern wollen grundsätzlich das Beste für ihren Nachwuchs. Es geht um eine Erklärung, wie Menschen zu People-Pleaser/-innen werden können. Es handelt sich dabei auch nicht um eine psychische Störung. Es ist ein Verhalten, welches die betreffenden Menschen erschöpft, stresst und einen Einfluss auf Freundschaften und Paarbeziehungen hat. Kinder, welche früh gelernt haben, dass Anpassung die beste (und vielleicht einzige) Strategie ist um Anerkennung, Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen, fällt es als Erwachsene schwer, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen wahr zunehmen. Was man nicht spürt kann man auch nicht in Worte fassen, geschweige denn gegenüber anderen Menschen aussprechen und dafür einstehen. Bei der Arbeit: «Wer schreibt das Protokoll der Sitzung?» WhatsApp der Nachbarin: «Kannst du mir vielleicht einen Gefallen tun und meine Tochter auch grad noch mit in den Kindergarten nehmen? Du kommst ja eh bei uns vorbei.» Der Ehemann zur Ehefrau: «Ich muss heute Abend länger arbeiten, komme erst später nach Hause.» Sie antwortet: «Oh, eigentlich hab ich mich ja mit Olivia fürs Kino verabredet, dann sag ich ihr halt ab.» Anfrage vom Quartierverein: «Könntest du wieder den Flohmarkt organisieren?»
People-Pleaserinnen und -Pleaser geben auf solche Fragen eine positive Antwort. «Ja, mache ich, kein Problem.» Die Wertschätzung und Anerkennung sind ein Energie boost, schnell wirkender Traubenzucker für den Selbstwert. So ähnlich wie die Likes und Daumen-hoch-Emojis in den Social Media. Es entsteht das warme Gefühl: Ich mache es richtig, bin anerkannt und wertgeschätzt. Um kein falsches Bild zu zeichnen: Wenn es mir Freude bereitet, den Flohmarkt zu organisieren, oder es kein grosser Aufwand für mich ist, das Protokoll zu schreiben, dann ist das absolut in Ordnung. Es ist die Frage, ob ich, wenn ich keine Lust oder keine Zeit habe, auch nein sagen könnte. Habe ich die Wahl, nein zu sagen, oder würde es meinem Selbstbild nicht entsprechen, hätte ich ein schlechtes Gefühl, wenn ich ablehne? Brauche ich die Likes für mein Selbstvertrauen? Oder kann ich damit umgehen, dass ich mein Gegenüber vielleicht enttäusche, weil ich jetzt nicht bereitwillig einspringe? Bei Menschen, welche einem nicht sehr nahestehen, fällt das meist etwas einfacher. Im nahen Umfeld ist es für People-Pleaserinnen und -Pleaser häufig noch schwieriger, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie passen sich an, damit werden auch Konflikte vermieden und es geht augenscheinlich sehr harmonisch her und zu. Dies kann durch aus gut funktionieren in der Partnerschaft.
Die Bindung zum Partner, der Partnerin ist sicher, wenn ich mich anpasse. Wenn ich meine Bedürfnisse, Vorstellungen, Wünsche nicht zurückstelle zugunsten meines Partners, meiner Partnerin, dann wäre die Bindung in Gefahr, das ist bedrohlich und gefährlich. Ich würde vielleicht kritisiert, nicht beachtet, bestraft mit Liebesentzug … das will ich keinesfalls. Irgendwann kommt es zu Abnützungserscheinungen, People-Pleaserinnen und People-Pleaser sind er schöpft von der Jagd nach Anerkennung und Wertschätzung. Und vielleicht gibt der Partner, die Partnerin nicht mehr so viele Likes, es wurde zur Gewohnheit, dass das Gegenüber seine Wünsche zurückstellt. Oder vielleicht wird es auch etwas langweilig, weil das Gegenüber etwas konturlos ist. Die Beziehung leidet. «Ich bin dir nicht mehr wichtig, du hast kein Interesse an mir, ich bin dir gleichgültig. Du hast nie eine Idee, ich muss immer alles organisieren, alles kommt von mir, du bist so passiv.» So oder ähnlich könnten die Vorwürfe aneinander tönen. Beide wollen jedoch das Gleiche: sich wieder spüren als Paar, in die Verbindung treten miteinander, sich nahe fühlen. Das ist oft der Kernpunkt, wenn Paare den Schritt in die Beratung machen. «Wir haben einander verloren, unsere Kommunikation ist schlecht. Wir reden aneinander vorbei.»
Nur schon der Wunsch, wieder mehr in Verbindung zu kommen miteinander, ist eine gute Basis. Es sind Erinnerungen da, wie es mal war, früher, meist sind es gute Erinnerungen an Zeiten der Verbundenheit. Beide haben warme Gefühle, wenn sie daran zurückdenken. Und in einem nächsten Schritt geht es ums Ausloten, wie sind wir die geworden, welche wir heute sind? Was bewegt dich? Ein Kennenlernen auf einer tiefen Gefühlsebene. Für People-Pleaserinnen und -Pleaser ist das eine grosse Herausforderung. Welche Bedürfnisse habe ich eigentlich? Kann ich diese wahrnehmen? Oft ist es gut, auf die Körperebene zu gehen. Die körperlichen Reaktionen sind sehr ehrlich. Wie fühlt es sich an, wenn ich nein sage? Habe ich einen Kloss im Hals, ein unangenehmes Gefühl im Magen? Verkrampft sich etwas, wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt dann auf diese lange Wanderung gehen muss, weil ich ja gesagt habe, dem Frieden zu liebe, obwohl ich eigentlich Lust hätte auf einen ruhigen Sonntag zu Hause? Oder eigentlich würde ich jetzt gern mal allein was unternehmen, aber dann ist meine Partnerin oder mein Partner beleidigt. Reagiert mein Gegenüber mit Vorwürfen oder gibt es eine Ebene des Verständnisses, ah, du möchtest das lieber nicht? Oder du möchtest etwas anderes? Mute ich mich dem Gegenüber zu mit meinen Grenzen und Bedürfnissen, zeige ich mich? Die Angst vor der Reaktion des Gegenübers ist oft sehr gross. Was, wenn er oder sie mich dann ablehnt, verhöhnt, abwertet?
Es ist unterstützend, wenn Paare für solche Fragen eine Paarberatung in Anspruch nehmen. Auch die eigene Reflexion über diese Fragen ist sehr hilfreich, ob man nun in einer Partnerschaft ist oder nicht. Wovon hängt mein Selbstwert ab? Wie stark bin ich auf Anerkennung von aussen angewiesen? Hängt mein Selbstvertrauen vor allem von der Resonanz von anderen ab? Wie setze ich Grenzen? Für People-Pleaserinnen, -Pleaser (und auch für alle anderen, welche manchmal ihre Grenzen zu wenig respektieren) gibt es viele Übungsmöglichkeiten im Alltag: Wenn eine Anfrage an mich herangetragen wird, sage ich nicht sofort zu, sondern nehme mir Bedenkzeit. Wenn im Restaurant das Essen auf dem Teller nur noch lauwarm ist, melde ich mich, anstatt den Ärger mit dem halbkalten Essen runterzuschlucken. Wenn ich keine Zeit habe, das Protokoll zu schreiben, unterdrücke ich den Reflex, sofort ja zu sagen. Und ich reflektiere, wie fühlt es sich an, wenn ich nein gesagt habe? Kann ich das aushalten? Wie reagiert das Umfeld? Häufig ist die Erfahrung positiv. Die Absage wird zur Kenntnis genommen, der Wunsch respektiert. Dies wirkt ermutigend. Nachhaltige Veränderungen im Verhalten brauchen Zeit. Im Gehirn müssen neue Wege gebahnt werden. Das kann man sich ganz bildlich vorstellen. Es gibt Autobahnen, es ist immer am einfachsten, diese zu nehmen. Wenn es darum geht, einen neuen Weg anzulegen, ist das vielleicht zuerst ein Pfad, dessen Einstieg nicht auf Anhieb sichtbar ist. Mit der Zeit hat es vielleicht einen Wegweiser, der die Orientierung er leichtert, und je häufiger man den Weg geht, desto breiter und sichtbarer wird er. Damit die neue Bahn im Hirn gelegt wird, braucht es Zeit, Übung und immer wieder Nachsicht mit sich selbst, wenn es mal wieder nicht gelingt.
Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon
Dieser Artikel wurde im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg unter der Rubrik «DER GUTE RAT» am 27.02.2025 veröffentlicht.