Vor zwei Monaten bin ich Vater unserer Tochter geworden, welche meine Frau und ich lange ersehnten. Doch gerade in den letzten Wochen hat sich meine Frau stark verändert. Sie ist mir gegenüber sehr distanziert und häufig gereizt, was ich so von ihr nicht kenne. Auch scheint sie als Mutter nicht wirklich glücklich zu sein. Kann ein Kind eine Frau so stark verändern?
Danke, dass Sie so offen schreiben. Gerne möchte ich Ihren letzten Satz aufgreifen. Darf ich ihn leicht abändern -„Kann ein Kind eine Beziehung so stark verändern“? Es ist tatsächlich so, dass sich mit der Geburt eines Kindes bedeutsame Veränderungen in der Paarbeziehung einstellen. So erlebt man sich nicht mehr nur in der Rolle der Partner:in, sondern neu auch in jener der Mutter oder des Vaters. Diese neuen Rollen sind oft verknüpft mit zum Teil unausgesprochenen Erwartungen. Es braucht Zeit, sich in den neuen Rollen einzufinden. Ebenfalls braucht es Zeit, die Veränderungen anzunehmen, welche die Elternschaft mit sich bringt. Häufig werden eigene Bedürfnisse (z. B. Hobbies), erst einmal zurückgestellt. Aber auch in der Beziehung steckt man vielfach zurück, was in den ersten Wochen meist noch gar nicht als kritisch erachtet wird.
Sie schreiben, dass Sie beide Ihre Tochter lange ersehnten. Vermutlich hatten sich bei Ihnen beiden über die Zeit Erwartungen ausgeprägt. Diese sind ein wichtiger Schlüssel, um mit Ihrer Frau ins Gespräch zu kommen: Welche Erwartungen hatten Sie beide an die Elternschaft? Was hat sich erfüllt? Was entwickelt sich schon? Wo machen Sie noch „Gehversuche“ ? Vertraute und regelmässige Gespräche über solche und ähnliche Fragen können hier Verbundenheit in Ihrer Beziehung schaffen. Geben Sie Ihrer Frau aber auch Zeit, um in der neuen Situation anzukommen. Bedenken Sie, dass die Hormonumstellung bei der Frau mit der Geburt sehr ausgeprägt ist und Auswirkungen auf die Gefühlslage haben kann. Ca. 15 % der Frauen erleiden nach der Geburt eine postnatale Depression, welche ebenso eine Erklärung dafür sein kann, weshalb die Freude am Kind getrübt ist. Letztgenannte sollte im Unterschied zum Babyblues – einer kurzzeitigen Verstimmung – behandelt werden.
Werner Klumpp, Paarberatung und Mediation, Kanton Zürich, Beratungsstelle Bülach
Dieser Artikel wurde im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg unter der Rubrik «DER GUTE RAT» am 21.04.2022 veröffentlicht.