Die knapp 88 Jahre alte Mutter meines Mannes ist seit letztem Herbst im Altersheim. Schon früher kümmerte sich mein Mann um seine Mutter, aber jetzt hat es eine neue Dimension angenommen. Er geht jede Woche mindestens zweimal hin und auch am Wochenende. Da er viel arbeitet, sehen wir uns kaum mehr. Ich bin hin- und hergerissen, einerseits sehe ich, dass seine Mutter ihn braucht, andererseits habe ich auch Anspruch auf ihn. Bin ich zu egoistisch?

Wenn die Eltern alt werden, kommt es oft zu einer Rollenumkehr. Die schon längst erwachsenen Kinder kümmern sich um die betagten Eltern, welche mehr und mehr Unterstützung benötigen. Die erwachsenen Kinder stehen mitten im Leben, Erwerbsarbeit, Erziehung der eigenen Kinder, Haushalt und gesellschaftliche Verpflichtungen sind Programm genug. Ihr Mann hat eine enge Verbindung zu seiner Mutter. Jetzt, wo sie im letzten Lebensabschnitt steht, möchte er seine Mutter so gut wie möglich unterstützen. Für die Partnerschaft bleibt nicht mehr viel Zeit und Energie neben allem anderen. Nein, Sie sind nicht egoistisch, wenn Sie auch etwas von ihm haben möchten. Es ist erfreulich, wenn Sie nach vielen Ehejahren immer noch gern mit ihm zusammen sind. Gleichzeitig möchten Sie nicht, dass Ihr Mann Ihretwegen zu wenig Zeit mit der Mutter verbringt. Vielleicht ist ihr nicht mehr viel Lebenszeit vergönnt, und es ist verständlich, dass Ihr Mann sich jetzt Zeit für den Abschied nehmen möchte.

Haben Sie Ihrem Mann gesagt, in welchem Dilemma Sie stehen? Ist ihm bewusst, dass Sie sich mehr Zeit mit ihm wünschen? In einem offenen Gespräch könnten Sie ihn informieren über Ihre Befindlichkeit und Ihr Interesse an seiner Befindlichkeit zeigen. Haben Sie Ihren Mann gefragt, wie es für ihn ist, dass seine Mutter im Altersheim ist? Ist Ihr Mann der Meinung, dass seine Mutter nicht mehr lange lebt oder dass sie dort einsam ist? Vielleicht fühlt er sich verantwortlich als Sohn? Wenn Sie und Ihr Mann Ihre Gefühle miteinander teilen, entsteht dadurch Nähe und Verbindung, und Sie können gemeinsam schauen, wie Sie mit der herausfordernden Situation umgehen möchten. Gibt es Zeiten für Sie exklusiv als Paar? Zum Beispiel einen Abend in der Woche oder den Sonntagmorgen oder … Es geht darum, dass Sie ein gemeinsames Zeichen setzen und der Beziehung auch in dieser herausfordernden Zeit Wichtigkeit einräumen.

Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon

Dieser Artikel wurde im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg unter der Rubrik «DER GUTE RAT» am 06.07.2023 veröffentlicht.

Hier PDF Artikel zum download.