«Mein Mann und ich (beide 45 Jahre alt) kennen uns seit den Jugendjahren und haben auch jung geheiratet. Wir haben zwei Jungs, die 9 und 12 Jahre alt sind. Bevor wir Kinder hatten, haben wir viel zusammen unternommen, uns aber auch Freiraum für eigenen Interessen gelassen. Wir haben unser Leben genossen; es gelang uns aber auch, uns auf ein Familienleben einzulassen und wir sind bis heute gut organisiert. Nach der Geburt unseres jüngsten Sohnes schlief unser Sexualleben ein, womit wir uns aber beide wohlfühlten. Letzte Woche kam mein Mann nach Hause und informierte mich, dass er sich in einen Mann verliebt habe. Schon seit längerer Zeit fühle er sich zu Männern hingezogen und er möchte diese Beziehung leben. Ich war im ersten Moment geschockt, aber ich stehe zu meinem Mann. Trotzdem mache ich mir nun grosse Sorgen wie unsere Jungs, die Familie und das Umfeld darauf reagieren werden. Wie sollen wir vorgehen?»
Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihre Welt für einen Moment still gestanden ist, nach der Offenbarung Ihres Mannes. Ich möchte Ihnen Beiden ein Kompliment machen: Sie scheinen sich nach dem ersten Schock bereits wieder ein bisschen sortiert zu haben und überlegen sich nun, wie es weitergehen soll. Und Ihr Mann hat es gewagt sich Ihnen gegenüber zu outen und zu seinen Bedürfnissen zu stehen. Dies war sicher nicht einfach für ihn, musste er sich doch zuerst selber eingestehen, dass ihn andere Männer sexuell interessieren. Bei vielen Männern ist die Angst gross, die Familie zu verlieren, die Nächsten zu enttäuschen oder den Anschluss an das gesell-schaftliche Umfeld zu verlieren. Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel (HABS) schätzt die Zahl der schwulen Väter in Hetero-Familien in der Schweiz auf 6000. Ihr Mann ist nicht der Einzige, der zuerst den gesellschaftlich konventionellen Weg eingeschlagen hat. Nehmen Sie sich die Zeit und überstürzen Sie nichts. Reden Sie darüber, wie Sie die veränderte Situation angehen wollen. Wie und wann wollen Sie ihre Jungs informie-ren? Familienangehörige? Freunde? Lassen Sie sich beraten! Vielleicht weihen Sie zuerst eine gute Freundin ein oder ein befreundetes Paar, um zu schauen, wie die Reaktionen ausfallen. Warum Menschen unterschiedliche sexuelle Präferenzen entwickeln ist bis heute unklar. Die mehrheitliche Überzeugung ist, dass biologische, kulturelle und soziale Faktoren eine Rolle spielen. Wichtig für Ihre Jungs ist im Moment vor allem, dass sie gefühlt nicht ihren Vater verlieren und sie Zeit erhalten, um sich an die neue Situation zu gewöhnen.
Dieser Bericht ist im Stadt-Anzeiger erschienen.
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