Ich habe manchmal das Bedürfnis, einige Stunden für mich allein zu haben, ohne Familie, ohne Partner, nicht mal mit einer Freundin. Mein Partner verspürt dieses Bedürfnis nie, er möchte möglichst alles zusammen machen. Unsere zwei Kinder sind noch klein und ich betreue sie mehrheitlich und arbeite einen Tag pro Woche. Weil wir wegen Corona weniger Kontakte pflegen, verbringen wir noch mehr Zeit zusammen. Bin ich da zu egoistisch, wenn ich mal etwas für mich machen möchte?
Eltern mit kleinen Kindern sind sehr gefordert, der Alltag ist ausgefüllt und es bleibt wenig Zeit als Paar und oft noch weniger für jede einzelne Person. Das Bedürfnis nach Verbundenheit und Selbstbestimmung ist häufig unterschiedlich gross. Für Ihren Partner hat das Zusammensein Vorrang, während Sie ab und zu mal ganz für sich sein möchten. Diesen Wunsch teilen Sie mit vielen anderen Müttern und Vätern. Die Betreuung des Nachwuchses ist kräftezehrend, auch wenn fast alle Eltern ihre Kinder keinesfalls mehr hergeben möchten. In unserer Gesellschaft ist das Bild der aufopfernden Mutter noch immer tief verankert. Auch die romantische Vorstellung der Liebe als Dauerverschmelzung hält sich nicht zuletzt dank Werbung hartnäckig. Daher ist es gut möglich, dass Sie Schuldgefühle empfinden, weil Ihnen das Alleinsein etwas bedeutet. Welche Bedürfnisse stecken hinter Ihrem Wunsch? Die Verantwortung abzugeben für eine begrenzte Zeit? Sich um nichts kümmern müssen? Ihren Gedanken nachhängen, ohne im Minutentakt Kinderfragen zu beantworten? Netflix ohne Unterbrechung? In Ruhe im Internet surfen? Im Café sitzen und gemütlich die Zeitung lesen? Es gibt viele gute Gründe für eine Auszeit. Wenn Sie sich trauen, zu diesem berechtigten Wunsch zu stehen, wird es zu einem Gewinn für die Qualität Ihrer Beziehung. Zu einer lebendigen Partnerschaft gehören auch Phasen der Distanz, wo die Autonomie und Abgrenzung in den Vordergrund rückt. Sie laden Ihre Batterien, was Ihr Wohlbefinden positiv beeinflusst. Erklären Sie Ihrem Partner diesen Zusammenhang und vor allem, dass es keine Ablehnung seiner Person ist, sondern Selbstfürsorge. Es könnte sein, dass Ihr Partner Sie wohlwollend unterstützt, wenn er versteht, dass Ihr Wunsch keine Abwertung der Paarbeziehung oder der Familie ist, sondern eine Bereicherung für Ihr Zusammensein.
Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon
Dieser Artikel wurde am 07.01.21 im Stadtanzeiger Opfikon-Glattbrugg veröffentlich.