«Meine Frau ist an Parkinson erkrankt. Nachdem ich sie nun drei Jahre lang betreut habe, war ich körperlich und psychisch völlig erschöpft. Nach langem Überreden seitens meiner Familie kam ich zur Einsicht, dass es besser ist, wenn ich meine Frau ins Pflegeheim gebe. Dort ist sie nun seit vier Wochen untergebracht und, wie ich finde, in guten Händen. Doch seit ihrem dortigen Eintritt macht mir meine Frau heftigste Vorwürfe. Sie sagt, ich würde sie nicht mehr lieben, sonst hätte ich so etwas niemals getan. Das macht mich völlig fertig, zumal meine Frau bei klarem Bewusstsein ist. Habe ich vielleicht doch etwas falsch gemacht?»

Dass Sie es sich nicht leicht mit der Entscheidung gemacht haben, ist Ihren Zeilen unschwer zu entnehmen. Über sehr lange Zeit haben Sie Ihre Frau liebevoll unterstützt, bis Sie selbst an Ihre eigenen Grenzen gestossen sind. Das zeugt von einem grossen Liebesbeweis. Wie gut, dass Ihr familiäres Umfeld Ihre eigene Belastung wahrgenommen hat und Sie zu dieser Entscheidung ermutigte. Der Umzug in ein Pflegeheim ist ein kritisches Lebensereignis, welches sowohl von Ihrer Frau als auch von Ihnen bewältigt werden muss. Für diese Bewältigung braucht es auch Zeit. Es ist verständlich, dass Sie Ihren Entschluss immer wieder Infragestellen. Die Angehörigen erleben vielfach Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen, wenn Sie einen nahestehenden Menschen ins Pflegeheim geben. Ihre Entscheidung war jedoch sehr verantwortungsbewusst. Stellen Sie sich für einen Moment vor, wie es sich weiterentwickelt hätte, wenn Ihre Frau zu Hause geblieben wäre. Wie wäre es Ihnen ergangen? Die Antwort darauf könnte ein Anknüpfungspunkt für das nächste Gespräch sein, wenn Sie Ihre Frau erneut mit Vorwürfen konfrontiert: Teilen Sie ihr mit, was Sie die letzten drei Jahre bereit waren zu geben, sagen Sie Ihr jedoch auch, wann und weshalb es für Sie schwierig wurde. Der Bewältigungsprozess bei Ihrer Frau, das Leben im Heim immer mehr annehmen zu können, vermag ihr zu einer neuen Sicht auf die Dinge verhelfen. Aber es braucht wohl viel Zeit, Geduld und Einsicht, bis sie erkennen vermag, dass Sie letztendlich aus Liebe gehandelt haben.

Dieser Artikel ist erschienen im Stadt-Anzeiger Opfikon Glattbrugg