Was meinen Sie mit «aufopfernder Liebe»?

Krankheiten oder Unfälle mit bleibenden Folgen verändern das Zusammenspiel in einer Partnerschaft massiv. Wenn die gesunde Person die kranke Person unterstützt, dann stellt sie ihre eigenen Bedürfnisse zurück, sie opfert sich ein Stück weit auf – aus Liebe. Dies ist aufopfernde Liebe.

Was bedeutet es für ein Paar, wenn plötzlich eine Krankheit oder ein Unfall in die Beziehung bricht?

Jeder Schicksalsschlag ist zunächst ein Schock, und auch, wenn es heute gute Unterstützungsangebote zur Bewältigung gibt, muss jede Person ihren eigenen Weg der inneren Aussöhnung mit der neuen Situation und dem Schicksal finden – dies gilt für die direkt betroffene Person, wie auch für den Partner oder die Partnerin.

Wie lange kann das «Aufopfern» für eine kranke Partnerin, einen kranken Partner gut gehen?

Dies ist individuell sehr verschieden und hängt von der gemeinsamen Geschichte ab, von der Verbundenheit, vom Alter oder von den einschränkenden Folgen. Auf Dauer kann jede Person, die in eine helfende Position gerät, nur so lange helfen, wie es ihr selbst gut genug geht. Daher ist es unabdingbar, sich die Grenzen der aufopfernden Liebe einzugestehen, bevor man selbst an Gram, stiller Wut oder Gebrechlichkeit zugrunde geht.

Können körperliche Krankheiten auch mit dem Beziehungsgeschehen etwas zu tun haben?

Manchmal entwickelt sich eine chronische Krankheit aus einem tiefen unbewussten Bedürfnis nach Liebe und Umsorgung. Die andere Person sucht vielleicht unbewusst die Helfer-Position und sie fühlt sich geliebt, wenn sie helfen kann. Dies ist eine mögliche Beziehungskonstellation.

Wie entwickelt sich so eine Beziehung?

Auf die Dauer wird es wohl auch in dieser Konstellation schwierig werden, weil das Leben uns immer weiter entwickeln möchte. So werden beide nicht drumherum kommen, ihre Grenzen der Hilfsbedürftigkeit wie auch der Hilfsfähigkeit anzuerkennen. Wenn die kranke Person nicht lernt, sich selbst auch gern zu haben, dann wird die gesunde Person irgendwann erschöpft sein – denn man kann auf die Dauer niemandem Liebe geben, der sie nicht auch sich selber gibt.

Können Krankheit und Schicksalsschläge Beziehungen auch bereichern?

Auf jeden Fall. In solchen Situationen liegt auch eine grosse Chance für Ehrlichkeit, neue Tiefe und neue Klarheit, wie man mit dem Leben wirklich umgehen möchte. Es gibt Paare, die erleben eine neue Beziehungsdimension in nie dagewesener Intensität.

Viktor Arheit, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich,
Beratungsstelle Affoltern am Albis

Dieser Artikel wurde im Anzeiger Bezirk Affoltern unter der Rubrik «RATGEBER BEZIEHUNG» am 03.03.23 veröffentlicht.

Hier PDF Artikel zum download.