Ferien zu zweit oder doch lieber alleine? Der «Stadt-Anzeiger» widmet sich in einer dreiteiligen Ratgeber-Serie den wichtigsten Fragen rund ums Thema Ferien und Beziehung. Im ersten Teil klärt Paarberater Werner Klumpp über die grundlegenden Fragen in Zusammenhang mit der Ferienplanung auf.
Interview: Roger Suter

Herr Werner Klumpp, was verstehen wir eigentlich gegenseitig unter Erholung?
Die wichtigste Frage, für die wir uns Zeit nehmen sollten, bevor wir buchen. Denn häufig sind ungeklärte Erwartungen der Grund, weshalb es dann in den Ferien zu Beziehungskonflikten kommt. Und das ist schade, freuen wir uns doch alle auf diese Auszeit vom Alltag. In einem ersten Schritt lohnt es sich, darüber nachzudenken, was ich selbst zur Erholung brauche: Ist es die Musse, mich am Strand stundenlang in meine Lieblingslektüre zu vertiefen und einfach nur die Sonne zu geniessen? Oder erhole ich mich am besten, wenn ich am Urlaubsort möglichst viele neue Eindrücke erhalte, zum Beispiel bei geführten Städtereisen? Ist es die All-inclusive-Variante, bei welcher ich mich um nichts mehr kümmern muss, oder gestalte ich meinen Aufenthalt vor Ort am liebsten selber und spontan? Möglicherweise sage ich mir auch: Am besten tanke ich «meine Akkus» zu Hause im Garten auf, da bereits der Gedanke ans Verreisen bei mir Stress auslöst; dort kann ich in meiner Hängematte liegen, etwas Feines kochen oder – besser noch – mich von meinem Schatz bekochen lassen … Vielfach bedeutet Erholung für jeden etwas anderes. Sich dies vor Augen zu führen, ist wichtig, um sich in einem zweiten Schritt als Paar auszutauschen, was jeder darunter versteht. Seien Sieneugierig aufeinander!

Ich möchte meine Ferien mal anders, eventuell allein verbringen. Wie sage ich das, ohne zu verletzen?
Ich empfehle Ihnen, sich zunächst über Ihre Motive zur Veränderung klar zu werden. Sind Sie es nur leid, routinemässig an dasselbe Feriendomizil zu reisen, wo Sie bereits schon die Nummern auf der Speisekarte auswendig können? Sehnen Sie sich z. B. nach neuen Erfahrungen in diesem Jahr, da die Kinder zum ersten Mal nicht mehr mitreisen, wobei ausser Frage steht, dass Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin gemeinsam reisen? Oder ist es tatsächlich der Wunsch, alleine unterwegs zu sein? Hilfreich für das Gespräch ist, dass Sie sich bewusst sind, dass der Wunsch für das Gegenüber möglicherweise unerwartet, frustrierend und auch verletzend sein kann. Gehen Sie daher behutsam vor: Bleiben Sie bei sich und benennen Sie Ihre Bedürfnisse. Bisherige Ferienerlebnisse sollten Sie nicht abwerten. «Ich habe unsere gemeinsamen Ferien immer sehr geschätzt. Aber dieses Jahr sehne ich mich besonders danach, mehr Zeit und Ruhe für mich zu finden. Es hat nichts mit dir und unserer Beziehung zu tun. Es wäre für mich wohltuend, viel Zeit für mich allein zu verbringen, zumal die Kinder erstmals nicht mitkommen. Ich weiss, dass es schwierig für dich ist, dies nachzuvollziehen. Aber kannst du es aus meiner Sicht verstehen? » Damit könnten Sie zum Beispiel beginnen.

Was sind meine Erwartungen an die Ferien und warum ist es wichtig, sich frühzeitig darüber auszutauschen?
Wie oben gesagt, bedeutet Erholung für jeden etwas anderes. Um Frust, Enttäuschung und Konflikte zu vermeiden, lohnt es sich, sich frühzeitig über Erwartungen an die Ferien auszutauschen. Erlauben Sie mir einen Vergleich: Sie hegen als Paar über ein Jahr lang den Wunsch, gemeinsam ein Restaurant zu besuchen. Jeder hat seine Vorstellung, was er dort essen möchte, wie das Ambiente sein soll, behält es aber für sich. Jeder freut sich darauf und sagt sich, das habe ich / das haben wir uns verdient. Am Ende wählt man – womöglich unter Zeitdruck – ein Lokal und beide sitzen frustriert am Tisch, weil die eigenen Wünsche nur unzureichend berücksichtig sind oder der Frust der Partnerin oder des Partners die eigene Begeisterung überschattet. Ein frühzeitiger Austausch über die gegenseitigen Vorlieben hätte hier geholfen, Frust zu vermeiden. Mit den Ferien verhält es sich kaum anders. Bedürfnisse können sehr unterschiedlich sein und sich auch über die Zeit verändern. Wenn meine Partnerin oder mein Partner bisher am liebsten in die Berge fuhr, heisst das noch nicht, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Daher lohnt es sich, frühzeitig die gegenseitigen Erwartungen zu kennen, um dann als Paar bzw. als Familie Lösungen und Kompromisse zu finden, damit möglichst alle auf ihre Kosten kommen. Wenn sich die Erwartungen bei allen decken – umso besser.

Wie führe ich eine konstruktive Diskussion, wenn die Erwartungen und Ansprüche an die gemeinsamen Ferien nicht übereinstimmen?
Unterschiedliche Erwartungen und Ansprünge sind normal. Mit dieser Grundhaltung sollten Sie an die Diskussion herangehen. Für das Gespräch braucht es genügend Zeit und Ruhe. Es kommt darauf an, dem anderen genau zuzuhören und dessen Sichtweise zu akzeptieren, anstatt diese als unangemessen oder gar falsch abzustempeln. Man sollte auch nicht gleich versuchen, sein Gegenüber von den eigenen Vorstellungen zu überzeugen nach dem Motto: «Wenn wir erst mal dort sind, wird es dir schon gefallen.» Ein Gespräch wird dann konstruktiv, wenn ich das Gehörte zusammenfasse und auch nachfrage, um besser zu verstehen, z. B. «Ich habe gehört, dass du dieses Jahr in den Ferien aktiver sein willst. Was stellst du dir genau vor?» In diese Diskussion können auch die Kinder einbezogen werden. Wenn wir gegenseitig voneinander wissen, was uns wichtig ist, fällt es in einem nächsten Schritt leichter, Lösungen und Kompromisse auszuhandeln.

Wie findet man Kompromisse, wenn die Ferienpläne nicht übereinstimmen?
In einer Beziehung sollte sich Geben und Nehmen über die Zeit grob ausgleichen. Hat hingegen einer von beiden den Eindruck, eigene Bedürfnisse häufig zurückzustellen, so wird dies längerfristig zu Unzufriedenheit führen. Dieser Fokus hilft, um auch bei unterschiedlichen Plänen Kompromisse miteinander zu finden. So könnte eine Möglichkeit sein, dass man zum Beispiel jährlich darin abwechselt, wer das Feriendomizil bestimmt. Auch könnte ein Kompromiss dadurch gelingen, dass man die besondere Situation der Partnerin oder des Partners im vergangenen Jahr anerkennt (z. B. Pflege der eigenen Eltern, starke berufliche Beanspruchung, Erkrankung eines Kindes), weshalb er oder sie entscheiden darf. Ist man sich über das Ziel einig, bestehen aber unterschiedliche Vorstellungen, wie der Aufenthalt gestaltet wird, könnte das Rezept «Tageschef» weiterhelfen. Jeder der Familie darf tageweise Chef bezüglich Planung der Aktivitäten am Ferienort sein. Diese Art der Kompromissfindung ist auch bei Kindern beliebt. Hat man als Paar unterschiedliche Vorstellungen, ob man die Zeit zu zweit oder auch allein in den Ferien verbringt, könnte ein Mix weiterhelfen, zum Beispiel: Nachmittags hat jeder zwei Stunden für sich, den Rest des Tages verbringen wir gemeinsam.

Oder ist es dann besser, getrennt zu fahren?
Die Fragen wären hier eher: Haben wir uns überhaupt auf die Suche nach Kompromissen bezüglich gemeinsamer Ferien gemacht oder fällt es mir schwer, die eigenen Bedürfnisse mitzuteilen? Habe ich Sorge, dass mein Partner oder meine Partnerin meine Bedürfnisse nicht akzeptiert und habe ich dies schon so erlebt? Ist es schwierig, Kompromisse zu finden, kann es durchaus eine Lösung sein, getrennt zu verreisen, wenn dies für beide akzeptabel ist. Für einmal das Bedürfnis nach uneingeschränkter Selbstbestimmung anzuerkennen, kann sogar durchaus verbindend wirken; dies umso mehr, wenn man sich anschliessend das Erlebte gegenseitig erzählt. Auch für Paare mit kleinen Kindern kann dies eine Alternative sein, wenn sich die Eltern gegenseitig eine Auszeit zugestehen, um Energie für den Alltag zu tanken. Sollten sich «Ferien alleine» jedoch zu einem Dauerwunsch entwickeln, sollte man sich der Beziehung intensiver zuwenden, möglicherweise auch mit professioneller Hilfe.

Welche Abmachungen sind dabei sinnvoll?
Bei der Lösung «Ferien alleine» sollte festgehalten werden, inwieweit der oder die Zurückbleibende ein Zugeständnis macht. So könnten zum Beispiel im Gegenzug die nächsten gemeinsamen Ferien gleich geplant werden. Es könnte alternativ auch etwas zum Ausgleich, wie zum Beispiel regelmässige Paarzeiten im Alltag (z. B. Abende oder Wochenenden) in der Agenda festgehalten werden, um das Investment in die Verbundenheit zu sichern. Das Thema Geld zu klären, kann ebenfalls Konflikten vorbeugen: Wie hoch soll das Budget für die Ferien sein? Was hat die Partnerin oder der Partner allenfalls als Ausgleich zugute? Bedeutsam ist, was tatsächlich als Ausgleich angesehen wird. Dies könnten zum Beispiel freie Abende für die Partnerin oder den Partner sein, an welchen man die Kinder übernimmt. Für die Ferienzeit selbst ist zudem wichtig zu besprechen, ob, wie und wie oft man miteinander in Kontakt treten möchte (z. B. via Facetime). Ist die Sehnsucht dann doch zu gross, findet sich gar ein Weg, sich spontan zu verabreden …

 

Interview Reihe: Der grosse Ferien-Beziehungsratgeber
Teil 1: «Welche Ferien wollen wir?» publiziert am Donnerstag, 28. Juli 2022 im Stadt Anzeiger Opfikon-Glattbrugg.
Teil 2: Publikation am 4.08.2022 auf Stadt Anzeiger Opfikon-Glattbrugg.
Teil 3: Publikation am 8.08.2022 auf Stadt Anzeiger Opfikon-Glattbrugg.

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