Man kann sagen, das Glück hat Konjunktur. Die Idee glücklich zu werden, zu sein oder zu bleiben ist wohl eine der dominantesten gesellschaftlichen Ideen in den letzten Jahrzehnten. Zu kaum einem anderen Thema gibt es ähnlich viel Ratgeberliteratur, wie zum Glück – ausser vielleicht noch zur gesunden Ernährung und Abnehmen, was ja aber auch letzten Endes glücklich machen soll.
Im Prinzip ist gegen das Glück auch gar nichts einzuwenden. Wenn man glücklich ist, sollte man sich daran erfreuen und dieser Artikel soll Ihnen die Freude am Glücklichsein auch wirklich nicht vermiesen.
Zunehmend problematisch erlebe ich jedoch das Streben nach Glück. In der Beratungspraxis häufen sich in den letzten Jahren die Probleme mit dem Glück – und zwar nicht, weil haufenweise unglückliche, vom Pech verfolgte oder negativistische Klienten in die Beratung kommen. Die gibt es zwar nach wie vor, werden aber zunehmend von einer anderen Gruppe verdrängt: Menschen, die das permanente Streben nach Glück unglücklich – ja oft sogar – depressiv macht.
Ich spreche von Personen, die die Idee glücklich sein zu müssen, so sehr verinnerlicht haben, dass jede Abweichung vom Glück als Unglück, falsch oder persönliches Versagen gewertet wird. Meist wird darauf von diesen umgehend mit Gegenmassnahmen (Meditationen, Atemübungen, Selbstoptimierung, ein weiteres Ratgeberbuch) reagiert. Nach dem Motto «viel hilft viel» und wenn man mal nicht glücklich ist, hat man nur noch nicht genug dafür getan.
Ich nenne das ein «amerikanisches» Verständnis von Glück. «Amerikanisch» deshalb, da die Gründungsväter der USA schon 1776 «the pursuit of happiness» in ihre Unabhängigkeitserklärung als Grundrecht verankert haben. Im Laufe der Zeit ist jedoch aus dem «Recht, nach Glück zu streben» im allgemeinen Verständnis eher eine «Pflicht, das Glück zu erreichen» geworden. Gemäss dem Sprichwort «jeder ist seines Glückes Schmied» ist die Verantwortung, ob man nun glücklich ist oder nicht bei jedem einzeln zu verorten. Dem entsprechend auch die Verantwortung fürs Unglücklichsein. Dies kann nun allerdings zu erheblichen Problemen führen.
Es ist nun mal ein Ding der Unmöglichkeit, immerzu glücklich zu sein. Aus irgendeinem Grund gibt es im Leben die Pole Glück und Unglück und zwischen diesen eine weite Spannweite von mehr oder weniger Glück und Unglück. Versucht man nun, permanent glücklich zu sein, kann man an dieser Aufgabe nur scheitern. Verortet man die Ursache für dieses Scheitern dann auch noch bei sich, hat man nur die Möglichkeiten, sich als Versager zu fühlen oder in das Hamsterrad von sich mehr anstrengen und optimieren einzusteigen, um dann wieder zu scheitern…beides nur mässig attraktive Vorstellungen.
Dass es auch anders geht, wussten schon die alten Römer. Im Lateinischen ist das Wort für Glück doppeldeutig. «Fortuna» heisst sowohl Glück als auch Schicksal. Die Römer verstanden das Glück als eine Gabe der Götter, die schicksalhaft über einem ausgeschüttet wurde – und einem von diesen auch wieder genommen werden konnte. Zwar gab es ein paar Massnahmen, die man ergreifen konnte, um sich die Gunst der Götter gewogen zu machen- zum Beispiel ordentlich opfern, je mehr umso besser – aber letztlich war es den Leuten klar, dass ihr Einfluss auf die Entscheidungen der Götter begrenzt war und man als Sterblicher immer der Willkür der Götter ausgesetzt blieb.
Paradoxerweise hatte dieses willkürliche Ausgeliefert sein aus psychologischer Sicht eine auch durchaus positive Wirkung. Man konnte mit Schicksalsschlägen, Pech und Unglück anders umgehen. Man konnte diese beklagen, bedauern und betrauern… und es gab die Möglichkeit das Vorhandensein von Ohnmacht auch demütig anzunehmen, ohne sich schuldig fühlen zu müssen. Man konnte das Unglück – ebenso wie das Glück – als einen von vielen Bestandteilen des Lebens verstehen und nicht als den einzigen. Man hatte kein Anrecht aufs Glück, aber auch keine Pflicht glücklich zu sein. Irgendwie eine entspannende Vorstellung im Vergleich zur permanenten Selbstoptimierung, Unzufriedenheit mit sich selbst und Versagensgefühlen.