Im Gespräch Wenn in einer Beziehung Probleme vorhanden sein, dann fielen diese in der Weihnachtszeit besonders auf, sagt Annette Brockhaus. Die Psychologin stammt aus Zumikon und ist Paarberaterin in Männedorf.

Rahel Urech (Interview)

Morgen ist Heiligabend, wir feiern das Fest der Liebe. In vielen Familien aber kracht es ausgerechnet dann. Warum ist das so?
In der Weihnachtszeit wird das Zusammensein zelebriert. Viele, so zeigt die Werbung, backen und basteln Geschenke. Die Erwartungen sind hoch. Wenn aber mehr Wut als Friede vorhanden ist, mehr Kälte als Geborgenheit, dann fällt das in der Weihnachtszeit besonders auf. Dazu kommen möglicherweise noch Konflikte mit den Herkunftsfamilien.

Wenn die Tante wieder über den Weihnachtsbaum lästert …
… oder der Schwiegerpapa über den Durst trinkt. Da kommen Kultur und Rituale von zwei Familien zusammen und damit ganz verschiedene Vorstellungen, wie man das Weihnachtsfest begehen will oder nicht. Für die Frage, was wir uns wünschen, bleibt wenig Raum.

Das Zusammensein wäre vielleicht gerade eine Gelegenheit, Konflikte anzusprechen.
Ich halte sehr viel davon, ob und zu eine Chropfläärete zu machen und Dinge anzusprechen, aber nicht an Weihnachten. Wenn nötig, dann danach. Die Chance, dass man am Weihnachtsabend in der Lage ist, konstruktiv zu diskutieren, ist klein.

Zu welcher Zeit im Jahr sind sie als Paarberaterin am meisten ausgelastet?
Grundsätzlich kommen durchs ganze Jahr Paare in die Beratung. Trotzdem gibt es Häufungen nach Weihnachten und vor den Sommerferien. In beiden Fällen verbringt man Zeit gemeinsam oder hat gemeinsame Projekte.

Mit welchen Problemen kommen die Paare und Familien zu Ihnen?
Ein Paar oder eine Familie zu sein, ist ein anspruchsvolles Projekt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man gewisse Klippen schrammt, ist hoch, ebenso die Chance, dass einiges nicht klappt.

Können Sie konkrete Gründe nehmen?
Häufige Themen in der Paarberatung sind Kommunikation, Streit und Unzufriedenheit auf mindestens eine Seite. Viele Paare sprechen nicht mehr miteinander, sie haben einander verloren. Oft merke ich, dass die ganze Kommunikation über sich und die Beziehung nur bei mir am Tisch passiert. Daheim reden diese Paare nur noch darüber, wer die Kinder abholt oder die Zugtickets bucht. Die Aufgaben- und Rollenverteilung wird da und dort zu einem Problem für Paare.

Was meinen Sie damit?
Menschen, die zu mir kommen, leben häufig mit dem Gefühl, dass sie in ihrer Beziehung zu kurz kommen. Wenn in einer Beziehung die erste Verliebtheit vorüber ist, stellt sich die Frage, was fair ist. Ich hatte beispielsweise eine Frau, die 100 Prozent Familienarbeit leistet, und einen Mann, der 90 Prozent arbeitet. Ist es fair, dass er an seinem freien Vormittag auf dem Sofa liegt und sie sieben Tage nonstop für die Kinder da ist? Ist es umgekehrt fair, dass sie Zeit für Spor hat und er nicht? Ein Paar besteht aus zwei unterschiedlichen Menschen. Ihre Charaktere und Vorstellungen in Einklang zu bringen, ist schwierig. Ich beobachte oft, dass das, was die Leute zueinander hinzieht, auch das ist, was Probleme verursacht.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine Frau sagte mir, sie habe sich in ihren Mann verliebt, weil er so unabhängig war und sich nicht um Konventionen scherte. Sie selbst ist ein zurückhaltender Mensch und hält sich gerne an Regeln. Nach einigen Jahren Beziehung störte sie sich immer mehr daran, dass ihr Mann sich nicht darum kümmert, was sich gehört und was nicht.

Was raten Sie in einem solchen Fall?
Es hilft, wenn Partner in einer Beziehung einen guten Umgang finden mit den Eigenheiten des anderen. Daneben ist es wichtig, eine Struktur und ein Alltagssystem zu finden, das zu beiden passt. Jeder soll sein dürfen, wie er oder sie ist. Den glücklichen Paaren gelingt dies vielleicht ohne Paarberatung, aber ohne Krisen geht es auch da nicht.

Streiten gehört dazu?
Ja. Sachen unter den Teppich zu schaufeln und zu tabuisieren, ist selten gut. Trotzdem ist es nicht nötig, über alles zu streiten. Es lohnt sich, gut zu prüfen, wo es eine Einigung braucht und wo man auch unterschiedliche Lösungen haben kann.

Was halten Sie davon, wenn Eltern vor ihren Kindern streiten?
Ob man das tun will oder nicht und es auch machbar ist, das muss man als Paar aushandeln. Ich empfehle, vor den Kindern keine Grundsatzdiskussionen zu führen wie zum Beispiel, ob man sich trennt. Umgekehrt ist es auch nicht hilfreich, wenn Kinder nie hören, dass die Eltern uneinig sind und dann plötzlich erfahren, dass sie sich trennen. Bestenfalls gelingt es, eine Konfliktkultur zu schaffen, mit der alle leben können.

Wie handeln Sie als Therapeutin, wenn Sie sehen, dass die Kinder unter Konflikten leiden?
Wir stehen immer in der Verantwortung, das Kindeswohl im Auge zu behalten. Besonders bei der Mediation bei Paaren mit Kindern müssen wir schauen, ob die Lösungen auch für die Kinder Sinn machen. In der schwierigen Situation einer Trennung hilft den Eltern der Fokus auf die Kinder häufig – über die eigenen Verletzungen hinaus –, den Blick auf die Bedürfnisse der Kinder zu richten und so trotz Konflikten Kompromisse zu finden.

Wie sieht Ihre Beratung aus, geben Sie Ratschläge, sprechen Sie Urteile aus?
Es ist nicht meine Aufgabe, zu beurteilen oder Ratschläge zu erteilen. Es ist häufig so, dass Paare gewisse Themen sehr unterschiedlich wahrnehmen. Was ich machen kann, ist, zu erklären, wie die unterschiedlichen Wahrnehmungen zustande kommen. Ich versuche, dafür zu sorgen, dass das Paar aus zwei parallel laufenden Filmen wieder einen gemeinsamen machen kann. Ich kann mithelfen, schwierige Muster und Strukturen zu erkennen und diese veränderbar zu machen.

Erhalten Sie Rückmeldungen, ob Ihre Beratung hilft?
Ja, wenn ein neues Paar zu Beratung kommt und mir sagt, sie kämen auf Empfehlung von Bekannten, ist das eine schöne Rückmeldung. Es gibt aber auch Paare, denen die Beratung nicht hilft. Da versuche ich herauszufinden, ob es das Konzept Paarberatung oder vielleicht meine Person ist, die nicht passt. Es ist wichtig, dass die Atmosphäre zwischen der Paartherapeutin und den Klienten stimmt, sonst funktioniert die Beratung nicht. Aber nicht vergessen: die Paartherapie selbst verändert nichts an einer Beziehung, sie kann nur den Anstoss geben, dass ein Paar etwas verändert.

Wie sorgen Sie bei sich zu Hause für Harmonie an Weihnachten?
Wenn Sie damit noch streitfrei fragen: das ist unrealistisch bei uns. Aber Weihnachten ist besonders schön für mich, wenn wir alle zusammen singen. Ich mag Rituale, mache und bekomme gern Geschenke, und ich mag die Weihnachtsidee, dass es möglicherweise etwas gibt, das über uns hinausgeht. Aber es ist eine anspruchsvolle Zeit, nicht nur für die Familien, sondern auch für all jene, die nicht in eine Familie eingebunden und allein sind.

Dieser Artikel ist erschienen in der Zürichsee-Zeitung
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